Dienstag, 22. Oktober 2013

Grenzerfahrung

Nach ein paar erfolglosen Versuchen hat es schlussendlich doch noch geklappt an die koreanische Grenze zu fahren. Nach dem Koreakrieg (1950-53) wurde um die Grenze (Militärische Demarkationslinie, MDL) eine demilitarisierte Zone (DMZ) eingerichtet. Diese ist vier Kilometer breit und 248 Kilometer lang. In diesem Bereich darf kein Militär stationiert werden. Sie soll als Pufferzone zwischen den beiden befeindeten Staaten dienen.
Man sollte sich in Erinnerung rufen, dass sich die beiden Staaten de facto noch immer im Krieg miteinander befinden, denn streng genommen besteht der Waffenstillstand von 1953 nur zwischen der UNO (vertreten durch die USA), China und Nordkorea, nicht aber Südkorea. Einen Friedensvertrag gibt es bis heute nicht. Die innerkoreanische Grenze ist nach wie vor die am stärksten bewachte Grenze der Welt.
Morgens um kurz nach 5 ging es los um pünktlich am Abfahrtsort zu sein. Danach ging es eine gute Stunde mit dem Bus zur demilitarisierten Zone. Die Fahrt ging entlang des Han-Flusses. Der Fluss fließt durch Seoul und wird kurz hinter Seoul zum Grenzfluss. Bereits hier ist alles mit Stacheldraht abgesperrt und überall stehen Wachhäuschen. Erst vor zwei Wochen ist ein Südkoreaner, der über den Fluss in den Norden fliehen wollte, von seinen eigenen Landsmännern erschossen worden.
Bevor man in das Sperrgebiet fährt, erfolgt eine erste Passkontrolle. Ab hier war es auch strengstens verboten Fotos zu machen. Nach ein paar Kilometern kamen wir an den nächsten Kontrollpunkt. Hier kriegt jede Besuchergruppe einen eigenen Soldaten zugewiesen, der einen auf der gesamten Tour begleitet. Nachdem man im Besucherzentrum eine Einweisung in die Verhaltensregeln bekommen hat, muss man eine Verzichtserklärung unterschreiben. Diese besagt unter Anderem, dass man im Falle eines Zwischenfalls oder gar des Todes niemanden zur Verantwortung ziehen kann. Beruhigend. Danach erhält jeder einen Besucherausweis und man steigt in einen vom Militär gestellten Bus um. An diesem Punkt muss man alles in dem anderen Bus zurücklassen. Nur eine Kamera darf man mitnehmen. Ab hier gelten ganz strenge Regeln. Selbst wenn es regnet darf man nicht einmal einen Regenschirm mitnehmen.
Man darf ohne ausdrückliche Erlaubnis keine Fotos mehr machen, mit keinem der Soldaten reden, keine Gesten machen, was auch beinhaltet, dass man auf dem Gelände nirgends hinzeigen darf. Rucksäcke und Taschen muss man  im Bus lassen, man darf kein Telefon benutzen und auch nichts aufschreiben. Es ist verboten laut zu reden, zu  rennen oder zu tanzen. Vor ein paar Wochen wurde ein Tourist für zwei Tage ins Gefängnis gesperrt, weil er auf dem Gelände den Gangnam Style getanzt hat. Auch für das Erscheinungsbild gibt es strikte Bestimmungen. Man darf keine unordentliche Kleidung (z.B. aufgeschlitzte Hosen), Kleidung mit provokativen oder unangemessenen Aufdrucken, Sportkleidung, weite Kleidung (wie etwa Baggypants), ärmellose Shirts, kurze Hosen, Röcke, Miniröcke, Militärklamotten, Sandalen, Flip Flops, High Heels, Lederhosen oder -westen tragen. Desweiteren darf man seine Hände nicht in die Taschen stecken und struppiges oder ungekämmtes Haar ist ebenfalls verboten. Auch sind Kameras nur bis zu einer Brennweite von 90 mm erlaubt und man darf nur im Stehen fotografieren. Um an der Tour Teil zu nehmen muss man mindestens elf Jahre alt sein und darf nicht aus dem "falschen" Land kommen. Bürgern aus Afghanistan, Kuba, Iran, Irak, Libyen, Südkorea, Nordkorea, Pakistan, Sudan und Syrien ist der Besuch nicht gestattet.
Der erste Stopp war Panmunjom (auch Joint Security Area, JSA, dt. „gemeinsame Sicherheitszone“). Hier wurde 1953 das Waffenstillstandsabkommen unterschrieben. Noch heute dient der Ort auf der gemeinsamen Grenze als Verhandlungspunkt zwischen den beiden Ländern. Verwaltet wird er von der Waffenstillstandskommission (Military Armistice Commission, MAC). In Zweierreihen wird man über das Gelände geführt. Auf Kommando darf man für eine bestimmte Zeit in eine festgelegte Richtung fotografieren. Und das nehmen sie auch sehr ernst. Es ist schon etwas bizarr zu sehen, wie sich die Soldaten der beiden Länder den ganzen Tag lang gegenseitig regungslos anstarren.
In eine der blauen Baracken, die genau auf der Grenze stehen, darf man dann auch für ein paar Minuten gehen. Innerhalb dieser Baracken kann man dann tatsächlich ein paar Meter nach Nordkorea gehen und auch kurz Fotos machen. Auch hier gibt es wieder eine Menge Regeln. Den Wachsoldaten sollte man sich besser nicht mehr als einen halben Meter nähern. Man darf auch nicht hinter ihnen stehen, Gesten machen, ihnen Grimassen schneiden, sie anstarren, ihnen den Blick blockieren und zwischen dem Wachmann und dem Tisch bzw. der Fahne darauf, die er bewacht, entlang laufen. Man darf nichts anfassen, verrücken oder auf dem Tisch platzieren. Auch darf man in dem Gebäude nur Richtung Nordkorea fotografieren.
Schon vor der Tour wird einem gesagt, dass Programmpunkte ohne Begründung zu jeder Zeit abgesagt werden können und der Zugang zu bestimmten Bereichen verwährt werden kann. So kann man derzeit die Bridge of No Return leider nicht besichtigen. Bevor wir Mittagessen gefahren wurden, durften wir noch in einen Souvenir Shop. Hier konnte man nette Dinge wie Militärklamotten, Armbinden, Patronenanhänger, kleine Soldatenfiguren, T-Shirts, DMZ-Aufkleber und Magnete oder ein Stück Stacheldraht des Grenzzauns kaufen. Das ist schon etwas verrückt.
Nach dem Essen ging es zur Freedom Bridge. Über diese Brücke wurden nach dem Krieg Gefangene ausgetauscht. Beim Überqueren der Brücke haben diese "Freiheit" gerufen. Daher heißt die Brücke Freiheitsbrücke. Nächster Halt: Dorasan! Dorasan ist der nördlichste Bahnhof Südkoreas. Von hier führen die Gleise sowohl nach Süd-, als auch nach Nordkorea. Es fahren täglich zwei Züge, allerdings nur auf südkoreanischer Seite. Die Gleise nach Pyeongyang und Kaesong sind zwar betriebsfähig, werden aber schon seit langer Zeit nicht mehr befahren.
Im Anschluss ging es zu einem Aussichtspunkt. Hier durfte man wieder mehr schauen als fotografieren. Einige Meter hinter der Mauer ist eine Fotolinie, die man auf keinen Fall beim Fotografieren übertreten darf. Natürlich sieht man von dort fast nichts. Weiter vorne, von der Mauer aus hat man einen schönen Blick auf Nordkorea und das Propaganda Dorf. Dieses nordkoreanische Dorf hat mit 160 Metern den dritthöchsten Fahnenmast der Welt. Die Flagge selbst ist 31 Meter lang und wiegt fast 270 Kilogramm. Der Fahnenmast war einst kleiner, wurde aber aufgestockt, da in einem grenznahen südkoreanischen Dorf ein höherer Fahnenmast stand. Des Weiteren kann man die nordkoreanische Stadt Kaesong sehen, in der eine riesige Bronzestatue von Kim Il-sung steht. Bekannt ist vor allem die Industrieregion. Hier arbeiten Nord- und Südkoreaner zusammen.
Unser letztes Ziel war der dritte der vier gefundenen Infiltrationstunnel. Dieser wurde 1978 entdeckt. Nach dem Koreakrieg haben die Nordkoreaner versucht Tunnel nach Südkorea zu graben, um einen Überraschungsangriff starten zu können. Durch diesen Tunnel hätten etwa 10.000 Soldaten pro Stunde in den Süden gelangen können. Der Ausgang ist nur 44 Kilometer von Seoul entfernt. Der Tunnel verläuft in 73 Metern Tiefe und ist über 1,6 Kilometer lang. Hier durfte man nicht mal mehr eine Kamera mitnehmen. Selbst Handys, Schlüssel und andere Dinge in seinen Taschen musste man in Schließfächern verstauen. Immerhin konnte ich im Museum und auf dem Gelände noch ein paar Bilder mit dem Handy machen. Man konnte den Tunnel etwa 260 Meter bis zur ersten Blockade begehen. Dabei musste man Helme tragen, da die Decke oft nur 1,60 Meter hoch war. Das war auch gut so, da ich mir viermal den Kopf gestoßen habe.
Alles in allem hat mich der Tag mit sehr gemischten Gefühlen zurückgelassen. Es hinterlässt alles ein sehr mulmiges Gefühl. Soldaten, Minenfelder, Stacheldraht und das Wissen, dass man gerade in einem Kriegsgebiet ist. Andererseits ist alles sehr touristisch und man wird im Minutentakt durchgeschleust ohne eine Chance die Situation und alle Geschehnisse der Vergangenheit und Gegenwart zu realisieren. Aber es waren auf jeden Fall sehr interessante Erfahrungen.
2013-10-22 DMZ